Pfeifen

Wir können irgendeine Melodie pfeifen, aber die Melodie »Schür's Gedrüs« eignet sich ganz besonders gut, uns das Grundsätzliche des Pfeifens zu vergegenwärtigen. So viel weiß man schon aus Erfahrung, dass Kinder, die viel pfeifen, nie etwas mit den Mandeln zu tun und auch nie Halsschmerzen haben, während Kinder, die nicht pfeifen, leicht Halsschmerzen bekommen und sich allerhand Krankheiten anziehen. Die Mandeln und die Speicheldrüsen im Munde ziehen sich durch das Pfeifen zusammen.

Durch das Spitzen und Zusammenziehen des Mundes verliert sich auch der breite Mund, und mit einem kleinen Mund und runden Lippen sieht man netter, schöner, freundlicher, gemütlicher, freudestrahlender, gütiger und liebevoller aus als mit einem breiten oder wulstigen Mund; wir sind ja keine Maultiere mehr. Das Abrunden des Mundes gibt uns außerdem eine gesunde rote Farbe ins Gesicht, nicht das Gräuliche, Gelbliche, Bläuliche.

Das alles kommt daher, dass beim Zusammenziehen des Mundes die Oberlippe nach unten gezogen wird und dabei die Muskeln in den Nasenecken unter unsere Kontrolle kommen, also die Stelle des Gesichtes, wo die Charakterlinien liegen. Je mehr sich diese Linien ausprägen, umso charakterfester erweist man sich. Alle Mädchen und Buben, die pfeifen, sind geweckter und eifriger als solche, die nicht pfeifen. Man bekommt durch das Pfeifen ein angenehmeres, feineres Gefühl und denkt auch demgemäß. Man braucht bei einem gespitzten Mund durchaus nicht gleich an das Küssen zu denken; übrigens dürfen die anderen ja denken, was sie wollen, wenn ich nur meinem eigenen Gedanken nachgehe.

Wer aus dem Pfeifen ein Studium macht, es wissenschaftlich durcharbeitet und es schließlich künstlerisch betreibt, hat immer gute Verdauung und klassische Gesichtszüge und ist immer fröhlich. Wie viel schöner würden die alten Leute aussehen, wenn sie sich täglich etwas vorpfiffen! Wie nett und anziehend wirkt es, wenn man jemand entspannt pfeifen sieht oder hört. Ein kluger Geschäftsmann, der seinen Verkauf heben will, kann nichts Besseres tun, als in seinem Laden zu pfeifen; er pfeift sich die Kunden geradezu an. Wer nicht singen kann, kann doch wenigstens pfeifen und sich dadurch freundlicher aussehen machen; wer nicht pfeift, hat immer Sorgen und Kummer.

Sogar ein Kranker muss zuallererst das Pfeifen und dann das Singen üben, das bringt ihn bald aus dem Bett und macht ihn gesund. Das Pfeifen überwindet sogar Steifheit und Schwerfälligkeit, sodass man aufhört, sich zurückhalten zu lassen. Sobald man die Naturgesetze beachtet, braucht man keine besondere Behandlung und Verhandlung. Selbst ein Heiland ließ sich ja von Johannes taufen, und als Johannes ganz verwundert fragte: „Was, du kommst zu mir?", antwortete er ihm: „Ja, um der Gerechtigkeit willen." Ja, das ist gerecht, richtig, dem Naturgesetz gemäß, dass man die Schwachheiten, an die man sich als Mensch gebunden hat, dadurch loszuwerden sucht, dass man sich immer wieder einen Anstoß gibt, mit der Natur Verbindung zu halten. Sogar ein Todkranker kann durch Pfeifen, Singen und Sprechen oder Beten gerettet werden.

Das Pfeifen ist etwas ganz Natürliches, manchen ist es angeboren. Sie treten schon früh am Morgen pfeifend aus dem Haus, selbst wenn sie schon 24 oder noch mehr Jahre zählen und die Eltern dagegen sind und die ältere Schwester dagegen schilt: „Der große Mensch pfeift noch!" Er wusste es gar nicht anders, und selbst wenn er sich für einen Augenblick einschüchtern lässt, im nächsten Augenblick pfeift er schon wieder. Man kann doch einem Vogel das Singen nicht verbieten! Das nutzt doch nichts; er pfeift wieder, weil es in seiner Natur liegt.

Der Mensch ist von Natur ebenso beschaffen. Schon vom 5. Monate an spitzt das kleine Kind den Mund, obwohl es noch nicht pfeifen und reden kann. Aber es spitzt die Lippen und zieht die Muskeln zusammen, um unaufhaltsam ausatmen zu können. Wir brauchen es nur zu versuchen, um es uns zu beweisen, dass wir pfeifend am leichtesten ausatmen und auch am längsten, länger als beim Summen. Außerdem atmet man beim Pfeifen mehr a staccato aus, was außerordentlich wichtig ist, weil dabei Momente gesetzt werden für die Vibrationen, die sich durch die Melodie den Schleimhäuten übermitteln.

Diese Momente bewirken chemische Umwandlungen, die die Entwicklung von Krankheiten zurückhalten, sie beschwichtigen und zum Heilen bringen. Wer pfeift, bekommt nie Zahnfleischkrankheiten. Das Zahnfleisch bleibt gesund, und man kann sich bis in das 110. Jahr hineinpfeifen, ohne mit den Zähnen Schwierigkeiten zu haben. Man wird mit 70, 80, 90 Jahren noch nicht einmal alt aussehen, weil durch das Pfeifen die Muskeln nicht einfallen. Das ist sehr viel wert; denn solange man wohl aussieht und sich wohl fühlt, ist man zufrieden.

Sogar auf die Bauchspeicheldrüse wirkt das Zusammenziehen der Mundmuskulatur, sodass sie unter Kontrolle kommt. Ist die Bauchspeicheldrüse nicht unter unserer Kontrolle, sodass sie ihre Potenzen nicht den Verdauungsorganen zuführt, so wird das Zahnfleisch angegriffen, die Zahnnerven fangen an zu faulen und das Zahnfleisch zieht sich immer mehr zurück. Dann ist es höchste Zeit, zu pfeifen und alle die Drüsenübungen und Drüsenbewegungen mit Pfeifen zu begleiten. Die Krankheit wird zurückgehalten und schon nach wenigen Wochen versorgt die Bauchspeicheldrüse das Blut wieder mit den nötigen Elementen und die Verdauungsorgane arbeiten wieder normal; sogar ihre Ätherstoffe entfesselt sie, sodass sie sich auf die graue Materie und auf das Gehirn übertragen und dieses beleben. Dann tun wir uns leicht bei allen unsern Studien und können allen Gedankengängen folgen; wenn wir auch nicht alle brauchen können, begreifen und durchschauen wir sie doch wenigstens.

Nach einiger Zeit des Pfeifens merkt man auch, dass sich mehr und mehr die ganze Muskulatur des Unterleibes festigt und dass sich die Unterleibsorgane mehr nach oben ziehen. Das beständige Herauf- und Herunterziehen bestärkt die Muskeln, die die Organe in Ordnung und in ihrer richtigen Lage halten sollen. Schon dies allein würde genügen, so manches Leiden aufzuheben, weil sich alles von selbst natürlich gestaltet. Das ist doch besser als eine Medizin! Man möchte es ja kaum glauben, dass eine solche Macht in diesem Pfeifen liegt. Man vergegenwärtige sich aber nur alle die Singvögel, was für starke Muskeln sie haben, besonders im Hals und im Schnabel, und was für eine Riesenkraft sie damit entfalten! Wie verteidigt sich so ein kleiner Singvogel gegen einen Raubvogel!

Weil sich durch das Pfeifen die Muskeln im Unterleib zusammenziehen, wird der Unterleib dünn, und Magen, Leber, Eingeweide und nach und nach alle übrigen Organe kommen in ihre richtige Lage. Behält man das Pfeifen bei, so bleibt man dünn im Unterleib, während die Lungengegend sich auszuwölben beginnt und man mehr die Formen einer Venus oder eines Apollo annimmt. Selbst ein Bier- , Wein- , Schnaps- oder Brotbauch wird dünner und die Verdauungsbeschwerden verschwinden; sogar Herzleiden treten zur Seite. Denn das Pfeifen korrigiert das Herz, und man merkt die Besserung von Tag zu Tag, selbst wenn man nur pfeift des Morgens, während man sich zurecht macht und die Schuhe anzieht.

Die Organe arbeiten natürlich, wenn sie in ihrer natürlichen Lage sind. Ist der Magen gesenkt, die Leber geschwollen, die Eingeweide zu weit ausgedehnt, so fühlen wir uns schwach und dann gibt es Unzuträglichkeiten über Unzuträglichkeiten im ganzen Organismus. Bald wird man unterernährt, obwohl man immer wieder isst. Denn wegen der geschwächten Organe kann unsere Natur aus den Speisen nicht die Vollzahl der biochemischen Salze, der Volatile und der Säuren herausziehen, die nötig sind, um die Zellen immer wieder zu beleben. Das alles kommt nur daher, weil die Muskeln den Dienst versagen, die die Organe an ihrer richtigen Stelle halten sollten.

Um dauernd Gymnastiken zu machen für die Aufrechterhaltung dieser Muskeln, langt uns die Zeit nicht. Wir müssen deshalb ausfindig machen, was schnell und durchgreifend wirkt. Da ist aber das Pfeifen das einzige Mittel, auf das man sich ganz verlassen kann. Denn das Pfeifen reduziert alles, was sich zu viel erweitert hat. Sowie man pfeift, setzt sich der Magen an seine richtige Stelle, und die andern Organe folgen eins nach dem andern. Dann ist man sich seiner Gesundheit sicher.

Die meisten Sänger, die nicht pfeifen, leiden an einem schwachen Magen, weil er aus seiner natürlichen Lage geraten ist. Dann sind sie abhängig vom Wetter, von der Hitze, von der Kälte, von der Trockenheit und Feuchtigkeit, weil die Unordnung in den Bauchorganen auch die Stimmbänder unsicher macht. Wer öffentlich singen will, muss aber nicht nur starke Hals- und Tonmuskeln, sondern auch starke Unterleibsmuskeln haben, die alles in Ordnung halten. Dann kann man als Berufssänger zu jeder Zeit singen, tags oder nachts, bei heißem oder regnerischem Wetter, und erkältet sich nie. Aber nur wer pfeift, erlangt diese Kontrolle.

Wie lange soll man pfeifen? Man soll sich trocken pfeifen: wenn der Mund trocken ist, hört man auf. Aber gleich darauf sammelt sich der Speichel sehr schnell und kräftig, sodass man dann auch viel kräftiger pfeifen oder singen kann. Man bemerkt es allmählich, dass die Töne der Tonleiter die Speicheldrüsen entlangziehen bis in das Zwerchfell und dass die Töne viel deutlicher und klarer geworden sind. Also pfeift man sich immer wieder einmal etwas tagsüber. Früh sollte das Pfeifen das Erste und abends das Letzte sein, und immer, wenn man nichts weiter zu tun hat, kann man sich immer wenigstens etwas vorpfeifen oder zum mindesten die Lippen zum Pfeifen spitzen.

Gerade der EinfIuss des Pfeifens auf die Speichelbildung ist von der allergrößten Wichtigkeit für alle die, die mit Magen-Entzündung oder Zuckerkrankheit zu tun haben, denn der Speichel wird dann schleunigst aufgesogen. Manche Leute leiden an zu reichlicher Speichelbildung und dann sammelt sich leicht Zucker an. Auch Nerven-Entzündung kann durch das Pfeifen vertrieben werden, sodass sie uns keine Unannehmlichkeit mehr macht. Man kann sogar Muskel- und Gelenk-Entzündungen wegpfeifen, weil das Pfeifen den Speichel zum Aufsaugen bringt und dadurch neutralisierend wirkt, sodass die Säuren allmählich unschädlich gemacht werden.

Das ist ein ganz natürlicher Vorgang, denn der Körper kann alles neutralisieren, beleben, umwandeln, weil alles dazu Nötige in ihm vorhanden ist. Wenn wir das Pfeifen nur regelmäßig üben wollten, könnten wir uns damit ganz und gar heilen. Wenn die Anordnung dann heißt: „Alle 15 Minuten dreimal »Schür's Gedrüs« pfeifen“, dann muss man das einfach machen, bis sich der Erfolg einstellt und einem offenbart, was dann weiter nötig ist. Wenn man das Pfeifen wissenschaftlich, künstlerisch, melodisch, methodisch und systematisch betreibt, reduziert es alle organischen Verkürzungen und Verlagerungen um 67 %; aber man muss es täglich üben. Es handelt sich also beim Pfeifen nicht nur um die Gesichtsmuskeln und die Schleimhäute, sondern um alle die inneren Muskeln, die die Organe kontrollieren. Wir fühlen es sehr bald, wie diese inneren Muskeln, Sehnen und Bänder sich zusammen- und immer höherziehen wie die Saiten eines Instrumentes.

„Noch schöner!“ sagt da der Wissenschaftler. „Nach all den jahrelangen Studien, Experimenten und schwierigen Untersuchungen in den Sanatorien sollte sich einfach durch Pfeifen alles das beseitigen lassen?“ Ja, es ist wirklich kaum zu glauben. Es soll auch gar niemand glauben, und ein Wissenschaftler darf es gar nicht glauben. Aber versuchen kann es ein jeder, sogar der Wissenschaftler an sich selbst und dann an seinen Patienten, um dadurch zwar kein Gläubiger, aber ein Wissender zu werden. Siehe, der Vogel hat keine Flugkrankheiten oder Bewegungshemmungen, keinen Muskelrheumatismus, keine Drüsenkrankheiten, keine Nervenleiden. Das sollte eigentlich für einen wissenschaftlich denkenden Menschen schon genügen, um zu erkennen, dass alle rheumatischen Leiden, Gicht, Wassersucht, Zuckerkrankheit durch Pfeifen geheilt werden können. Warum also sich in Einzelheiten verlaufen, wenn doch die Natur mit ihren einfachen Mitteln mehr erzielt als wir mit all unsern wissenschaftlichen Experimenten, die nur 11 % Erfolge ergeben, während 89 % aller Heilversuche immer wieder Fehlschläge bringen. 11 % Erfolg genügen aber für keine Sache. Eine Sache, die gut ist, muss 100 % gewähren.

Wenn man pfeift, ist man gezwungen, den Brustkasten hochzunehmen, wie es ja der Singvogel auch tut. Er brustet sich förmlich auf, wendet den Kopf hin und her, macht den Hals locker und dann pfeift er darauf los. Wir haben das alles genauso nötig, besonders auch das Kopfwerfen beim Pfeifen, damit der Nacken locker bleibt und sich dort keine Verkalkungen ansetzen. Denn sobald sich Verkalkungen am Atlaswirbel hinunterwärts festsetzen, werden wir schon schwerfällig im Denken, können gewissen Ideen nicht mehr nachgehen, leiden, werden nervös und regen uns über jede Kleinigkeit auf. Wenn wir aber pfeifen, sind wir gezwungen, den Nacken zu bewegen, und auch die Lungen bewegen sich dann mit größerer Leichtigkeit.

Hat man Fieber, und brennt man sozusagen schon innerlich, pfeift aber darauf, dann fällt das Fieber. Man sucht nach Medikamenten, die Krankheit aufzuhalten, aber nichts will helfen. Aber sobald sich der Patient etwas vorpfeift, begibt er sich auf den Weg der Besserung. Warum sollten wir also nicht pfeifen, noch dazu, da es gar nichts kostet! Im Gegenteil, das Pfeifen gibt uns wieder Kraft und Mut. Wenn man durch das Pfeifen die Krankheit zurückhalten kann, so ist das doch schon viel wert, schon der vielen Zeit wegen, die man als gesunder Mensch für nützliches Schaffen freibekommt. Aber das ist es nicht allein.

Sobald man das Pfeifen neben dem Singen übt, merkt man, dass das Pfeifen ganz andere Muskeln des Gesichtes, Halses, Mundes und der Kehle in Bewegung setzt als das Singen und dass wir darnach besser fühlen, ein erleichtertes Gefühl haben: die Drüsen sind durch die in Tätigkeit versetzten Muskeln in eine andere Wendung und Wirkung eingetreten, und das bringt die Erleichterung. Wer von Natur aus den Drang des Pfeifens hat, dem entringt sich immer wieder zur rechten Zeit so ein Erleichterungspfeifen, besonders wenn er ganz auf sich zurückgezogen, wenn er in der Einsamkeit oder in der stillen Natur draußen ist, wenn er es nötig hat, sich zu sammeln oder den Gedanken zu erheben. Solche Menschen haben einen Drang nach etwas Höherem und Erhabenerem in sich. Deshalb suchte man ja auch zu allen Zeiten einsame Orte auf, weil man da leichter mit der Natur in Verbindung kommt. Es ist also ganz natürlich für uns, zu pfeifen. Denn es befreit uns von den alten, hemmenden Ideen und treibt uns an, uns frei zu machen von der alten Umgebung.

Man mag nicht alle Tage aufgelegt sein zu singen, es passt vielleicht auch nicht überall der Umstände halber; aber das Pfeifen können wir überall und irgendwie in das Tagewerk einschalten, ohne dass wir jemand damit lästig zu fallen brauchen. Wir können alle unsere Gesänge oder Lieder pfeifen und werden bald den großen Vorteil verspüren, den das vermittelt. Können wir der Umstände halber nicht laut pfeifen, so können wir in jedem Falle doch den Mund spitzen und unsere Melodien durch den gespitzten Mund aushauchen. Für weiche Eier pfeift man zweimal »Schür's Gedrüs«, für harte dreimal, für hartgesottene viermal. So macht man sich die Zeit und die Zeiten und kommt immer mehr hinein in den Gang der Natur. Bald fühlt man das Licht des Tages und die Wolken am Himmel, selbst wenn man nicht zum Fenster hinausschaut. Die Winde künden sich einem an durch das Gefühl, ehe sie kommen. Man ist der Natur nähergetreten und alles kommt einem dann auf natürlichem Wege zu.

Wer viel singt und seine Stimme ausgebildet hat, um Kapital daraus zu schlagen, der wird diese Winke über das Pfeifen besonders zu beherzigen wissen und die Notwendigkeit des Pfeifens leicht einsehen. Man kann sich noch so sehr üben im Singen und die Stimmbänder noch so sehr ausbilden, wenn man nicht zu guter letzt das Pfeifen hinzunimmt, wird man kein wahrer Sänger. Die nicht pfeifenden Sänger und Sängerinnen singen in einer Sprache, dass man eigentlich nicht weiß, in welcher. Sie verschlucken die Vokale, und die Töne sind dann nicht durchdringend und nicht vergeistigend. Man mag mechanisch und technisch richtig singen; aber man überträgt das Gefühl und das Geistige nicht.

Das Pfeifen aber setzt vermittels der Muskeln des Mundes die Stimmbänder richtig und macht sie modulationsfähig, sodass die Vokale klar, frei und richtig klingen. Man spricht alle Vokale genau aus und singt alle Worte klar und verständlich und das Gefühl überträgt sich. Denn das Pfeifen macht die Lippen beweglich und bringt sie unter die Kontrolle der Sprachintelligenz im Gehirn. Solange die Sprachintelligenz nicht die volle Kontrolle über die Lippen hat, kann man schwierige Sprachen, wie z. B. die russische, nicht lernen; es nähme ja eine Ewigkeit. Schon das Polnische wäre schwierig. In diesen Sprachen ist fast jedes Wort eine Übung für die Lippenmuskeln.

So mancher sagt: „Wenn ich doch mehr geistig angelegt wäre und mich besser übertragen könnte!“ Das geht aber nicht, ehe nicht die Kontrolle über die Muskeln der Oberlippe vorhanden ist. Manche sind ja so geboren, und bei allem, was sie tun, fühlt man das Herz in der Sache. Das ist ihre natürliche Anlage. Derer sind aber nur 8 %. Die übrigen 92 % der Menschen, die wir nichts empfangen haben von der Natur, müssen uns das Fehlende ergänzen, müssen uns korrigieren, um natürlich zu werden und uns unsere natürliche Form aufzubauen. Das Material ist zwar da in einem jeden von uns; wir müssen es aber nun erst so verarbeiten und bearbeiten, dass wir die richtige Form und die richtigen Linien bekommen, müssen die Muskeln so setzen, dass wir jede Saite unseres Wesens so vibrieren können wie ein Virtuoso die Saiten seiner Violine. Was ein Künstler auf dem hölzernen Instrumente zuwege bringt, sollten wir auf dem wunderbar gebauten Körperinstrument in viel höherem Maße erzielen. Wir können es auch, wenn wir nur unsern Gedanken darauf versetzen.

Wir sollten also nicht nur immer besser pfeifen von Tag zu Tag, nicht nur kunstgerechter, sondern sollten immer mehr unsern Gedanken darauf setzen und auf die Vibrierungen achten, die während des Pfeifens durch den ganzen Körper gehen, wie sie sich teilen und Vermittlungen machen von einem Organ zum andern. Dann spüren wir schließlich mit dem feineren Gefühl, dass jeder Teil unseres Wesens durchwirkt wird und revibriert oder die empfangenen Vibrierungen zurückgibt. Dann werden wir einen ganz anderen Gedankengang einschlagen, als wir es seither taten.

Durch die fortwährenden Vibrierungen und Revibrierungen entwickeln wir schließlich den Selbsterhaltungstrieb. Wenn man sich seither noch nicht zur Genüge behauptete, ist auf einmal der Zustand der Selbsterhaltung da. Bald erweitert sich der Selbsterhaltungstrieb, und wir fangen an, erweitert zu denken in Bezug auf alles, was zu diesem Leben gehört. Man sieht klarer, denkt tiefer, wird weitblickender und fühlt in sich etwas vorgehen: die Intelligenzen beginnen aufzuwachen. Es scheint einem, als entzünde sich im Inneren ein Licht, eine Klarheit, eine Illumination. Bei aller Schwere des Körpers fühlt man sich leicht und ist immer guter Dinge, wie jene Dame, die trotz ihrer 320 Pfund und ihrer kleinen Füße lief wie ein Reh. Warum? Sie pfiff sich immer eins und sagte: „Ich bin mir dabei froh des Lichtes, das mir in meinem Herzen geworden ist.“ Sie konnte niemand böse sein, hätte alle umarmen können und pflegte zu sagen: „Wir sind doch hier, um uns zu lieben, nicht nur mit Worten, sondern durch Taten; ich bin eine universelle Mutter, und mir ist jeder mein Kind.“ Ja, das Pfeifen macht mütterlich, väterlich, kindlich.

In Verbindung mit all den anderen Zitter- und Schütterbewegungen werden unsere nur halb geweckten Talente mehr und mehr geweckt, und die noch ganz brachliegenden fangen an, sich bemerkbar zu machen und uns verfügbar zu werden. Man unternimmt dies und jenes, und es gelingt einem. Da sagt sich einer: „Ich mache ein Geschäft auf!“, tut es, und es geht. „Ich mache Strümpfe, ich mache Teppiche, viel billiger als irgendein anderer!“, er tut es und hat Erfolg. Eine Lehrerin sagt sich: „So dumm, Kinder zu belehren! Die brauchen das doch nicht! Ich werde die Lehrer und Beamten belehren, die haben es nötig!“ Sie macht eine »Lehrer- und Beamtenschule für angewandte Lebenskunst« auf, und nach einem Jahre muss sie schon Hilfskräfte anstellen.

Nun werden wir umso lieber, umso künstlerischer, umso wissenschaftlicher pfeifen und auf die inneren Vibrierungen immer mehr achten. Dann sind wir sicher, dass wir immer noch einen Ausweg finden, selbst wenn uns alle Schranken vor der Nase niedergelassen werden. Wir können dann immer noch als professionelle Kunstpfeifer in den Zirkus gehen und sind uns des Erfolges sicher, sobald wir nur unser Gefühl in den Ton hineinzulegen verstehen. Das Feld ist groß! Als ein Kunstpfeifer-Quartett können wir schon im Lande herumreisen, und als ein Doppel-Quartett können wir alle Länder besuchen und auf der ganzen Erde berühmt werden.

Von Dr. O. Z. A. Hanish.
Auszüge aus Mazdaznan-Ergänzungslehre / Panopraktik (1930).
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