Einbildung oder Vergeistigung

Oder „Von der Notwendigkeit, mit beiden Füßen auf der Erde zu stehen“

Unser Körper ist vollkommen in seiner Anlage. Aber wir sind noch nicht fähig, all das Gute, das in ihm verborgen ist, zu erkennen. Viele haben ihren Körper, der uns doch gleich einem Heiligtum sein sollte, so vernachlässigt, dass sie sich ihm gegenüber keiner Pflichten mehr bewusst sind, ihn geradezu als ein notwendiges Übel betrachten und sich in Reiche verlieren, aus denen eine Rückkehr schwer möglich ist. Dabei überentwickeln sie ihre Einbildungskraft so stark, dass sie den Boden unter den Füßen verlieren und wähnen, geistige Wesen zu sein. Dass sie dabei aber keine geistigen Fähigkeiten entwickeln, sondern in Wirklichkeit nur ihre Einbildungskraft steigern, ist ihnen nicht bewusst.

Auf den unteren Entwicklungsstufen gebraucht der Mensch vorwiegend die Einbildungskraft und lässt sich von ihr so lange leiten, bis er seine Sinne höher entwickelt hat, und selbst dann ist er immer noch geneigt, die Vorstellungen, die er sich einbildet, für einen Ausdruck seiner Vergeistigung zu halten, anstatt auf dem Boden der Wirklichkeit zu bleiben und sich den Fortschritt Tag für Tag zu erarbeiten. Bevor er sich der falschen Richtung gewahr wird, beschäftigt er sich mit Dingen, die mit gesundem Menschenverstand nichts mehr zu tun haben.

Daher besitzt der Durchschnittsmensch mehr Einbildungskraft, als für die Entwicklung seiner feineren Sinne förderlich ist. Alle zwölf Sinne müssen aber gleichmäßig entwickelt sein, wenn wir imstande sein wollen, die Dinge so zu begreifen, wie sie in Wirklichkeit sind, und dazu muss das Gehirn im Zustand des Gleichgewichtes sein. Sich einzubilden, der Mensch sei ein rein geistiges Wesen, ist ein ebenso großer Irrtum, wie anzunehmen, er sei ein rein materielles Wesen. Die geistige und die materielle Seite machen zusammen das menschliche Wesen aus. Wer aber nur die eine Seite anerkennt, verrät eine einseitig entwickelte, unausgeglichene Gehirnverfassung und verläuft sich dann in Begriffe und Anschauungen, die sich mit den wirklichen Verhältnissen nicht vereinbaren lassen und daher Widerspruch, Widerstand, Gewalt, Streit und Kampf herausfordern, also friedliche Zustände unmöglich machen.

Als Kinder der Natur ist es daher unsere Pflicht, uns allseitig zu entwickeln, nicht aber einseitig. Es ist ganz gut und schön, alles Mögliche über Himmel und Hölle zu wissen; aber jetzt ist doch das Wichtigste für uns, uns über das gegenwärtige Leben auf dieser Erde in jeder Beziehung auszukennen und seinen Anforderungen gerecht zu werden. Das spätere Leben wird seine eigenen Anforderungen haben, die wir hier gar nicht erfüllen können. Lernen wir uns selbst und die Schönheiten dieses Lebens besser kennen, dann werden wir auch ein sogenanntes künftiges Leben zu würdigen verstehen.

Schon der Heiland sah sich genötigt, die Jünger, seine Schüler, hierauf hinzuweisen, die ihn bestürmten, er möchte ihnen doch etwas über das geistige oder künftige Leben sagen. Er sagte zu ihnen: „Wie könnt ihr das geistige oder künftige Leben begreifen, wenn ihr nicht einmal die grundlegenden Verhältnisse dieses Erdenlebens begreift!“

Die Schönheit dieses Lebens liegt darin, dass wir unsere besonderen Gaben, Fähigkeiten, Talente und Eigenschaften kennen und zu unserem Fortschritt ausnutzen. Je mehr Fortschritte wir in dieser Beziehung machen, umso klarer erkennen wir das große Naturgesetz, dass nicht zwei Wesen einander gleich sein können, wenn sie sich auch ähnlich sein mögen. Dann lernen wir auch die anderen besser verstehen und ihre Eigenheiten anerkennen, anstatt dass wir versuchen, ihnen unsere Eigenheiten aufzudrängen, womit wir nur unsere Unkenntnis beweisen würden.

Alle Menschen haben ihre besonderen Eigentümlichkeiten oder ihre charakteristischen Eigenheiten, durch die sie sich voneinander unterscheiden und die sie nicht etwa ablegen, sondern pflegen und vervollkommnen sollen; denn darin liegt der besondere Wert jedes Menschen. Wir sollen unsere Eigenheiten kennen und sollen lernen, von ihnen zu unserer Entwicklung Gebrauch zu machen. Dann werden wir einsehen, dass wir in Wirklichkeit nichts aufzugeben haben, sondern dass uns alles, selbst unsere Eigenheiten, zum Besten dienen.

Nur wenn wir den kleinen Dingen im Alltagsleben Aufmerksamkeit schenken und die kleinen Pflichten tagtäglich sorgfältig erfüllen, wird die Natur ihr Schatzhaus vor uns öffnen und dessen Fülle vor uns ausbreiten. Meist sind wir aber zu ungeduldig, um uns mit Kleinigkeiten abzugeben, und setzen dadurch die Ursache dafür, dass wir unser vorgestecktes Ziel in diesem Leben nicht erreichen. Wir streben nach Hohem und wollen Großes leisten, vergessen aber dabei, dass auch ein großes Bauwerk nur dadurch zustande kommt, dass viele kleine Steine sorgfältig aufeinander gesetzt werden. Selbst die riesigsten Gebäude setzen sich aus lauter kleinen Teilen zusammen. Der Grund für unsere falsche Einstellung ist, dass unser Nervensystem ungleichmäßig entwickelt ist, dass daher unsere Sinneswerkzeuge einseitig arbeiten und unser Urteil einseitig oder voreilig ist. Das uns fehlende innere Gleichgewicht oder die Ausgeglichenheit kann uns nur dadurch werden, dass wir uns Tag für Tag bemühen, im Kleinen treu, gewissenhaft und sorgfältig zu sein.

Auszüge aus Mazdaznan-Atem- und Gesundheitskunde.
Ausgewählt und bearbeitet von Jens Trautwein.
Foto: © Bits and Splits - stock.adobe.com


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